Sonntag, 25. Februar 2007

Gelesen: "Second Person, Present Tense" von Daryl Gregory

So, hab die nächste Geschichte aus der 23ten Ausgabe der Year's Best Science Fiction gelesen: "Second Person, Present Tense" von Daryl Gregory.

Hab tatsächlich auch noch nichts von ihm gehört, aber er hat auch ne Website , und es sieht so aus, als hätte er jetzt gerade sein erstes Buch an Del Rey verkauft. Über die Website ist auch die ganze Story auf Asimov.com online. Ich bin nicht so der Online-Leser -- nicht, solange das elektronische Papier noch nicht raus ist, aber es sind gerade mal 16 Seiten, und wer sich die Year's Best Science Fiction nicht ganz kaufen will, sollte vielleicht zumindest die Story lesen, sie ist nämlich sehr gut!

Eine 18-jährige hat eine Überdosis der Droge "Zen", auch "Zombie" oder einfach "Z" genommen und ist im Krankenhaus. Die Geschichte wird aus ihrer Sicht erzählt -- zur Wirkung der Droge sagt sie Folgendes: "Dr. S (ihr behandelnder Arzt) says that most Drugs aren`t about making you feel better, they're about not feeling anything at all." Uff, geniales Zitat, oder? Trifft es ziemlich gut.

Die Wirkung von "Z" wird folgendermaßen beschrieben (ich vereinfach hier ein bisschen): Nachweisbar hängt unser bewusstes Denken, etwas zu tun, dem eigentlichen Befehl des Gehirns hinterher. Eigentlich gehen wir ja alle davon aus, dass wir uns bewusst entscheiden aufzustehen, etwas zu trinken oder etwas zu sagen und es dann tun. Tatsächlich ist es aber so, dass die Entscheidungen getroffen und die Aktion gestartet wird, bevor es uns bewusst ist. Kaum messbare Zeit, aber laut Gregory in der Story Realität (stimmt das, Birgit???). Auf die Implikationen über unsere Sicht auf unser Selbst und unser "Ich" geh ich hier nicht ein, darüber soll jeder selbst nachdenken. Ein bisschen scary, oder? Die Droge "Z" jedenfalls vergrößert diesen Zeitraum je nach Dosis immer weiter. Man handelt, reagiert, agiert, trifft jedoch keine bewusste Entscheidung dazu, wie ein Beobachter -- wie ein Zombie. Das Ganze ist natürlich auch sehr ZEN-like, die Handlung vom bewussten Denken abzulösen.

Therese, das Mädchen der Geschichte, hat mit der Überdosis den Abstand unveränderbar ins Unendliche verschoben, ihre alte Persönlichkeit ist quasi wie ein Museumsstück in ihr selbst, und sie sieht sich als eine völlig andere Person. Ihre Eltern, extrem gläubige Christen versuchen das Mädchen, das sich jetzt selbst "Terry" nennt, wieder zu ihrer Tochter "Therese" zu machen.

Gregory beschreibt unglaublich einfühlsam und verständlich die Familiensituation und die Gründe, die zu der Überdosis geführt haben. Einerseits der ganz sanft beschriebene Hintergrund der Protagonisten und andereseits die Frage nach der Realität des "Ichs" -- Gregory kriegt das grandios hin. Beeindrucken, lesenswert. Bin neugierig, wie sein erstes Buch ist, werde jedenfalls beobachten, wann es raus kommt und dann lesen!

[Werbepause der Otherland-Redaktion: "Second Person, Present Tense" erscheint auf Deutsch in der ersten Ausgabe von Pandora, dem neuen SF/Fantasy-Magazin aus dem mit uns verschwägerten Shayol-Verlag. Ende der Werbepause.]

Ach ja, während ich das gerade eben geschrieben hab, hab ich Anais Mitchell "Hymns for the Exiled" gehört. Schöne Platte!

2 Kommentare:

Birgit hat gesagt…

Tatsächlich ist es so, dass einem bewussten Gedanken eine Potentialänderung im Gehirn um einen kleinen Bruchteil einer Sekunde vorrausgeht. Wenn man denkt, dass man jetzt den Arm heben möchte, dann war kurz vor dieser Entscheidung schon eine Nervenaktivität vorhanden, die diese Entscheidung verursacht. Beunruhigender finde ich noch, dass man durch simple elektrische Reize in der Großhirnrinde diesen scheinbar freien Entschluss auch auslösen kann. Notfalls erfindet das Gehirn dann Gründe, warum es gerade jetzt den Arm heben wollte ...

Der Otherlander hat gesagt…

Oh... irgendwie scary... in selbsterkenntnistheoretischer Hinsicht mein ich. Wenn "ich" also mein bewusstes Selbst also nur die plakative Rechtfertigung von etwas ist, das schon passiert ist, wer trifft dann die Entscheidungen?
Umpf.
Ob man das strafmildernd in einem Mordprozess einsetzen kann?
"Ich war es nicht"
Mann, mann, mann...